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OVG Berlin-Brandenburg: Bordellartige Betriebe und Bordelle sind im Mischgebiet unzulässig

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Wie der 2. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg in einer aktuellen Entscheidung urteilte, sind bordellartige Betriebe und Bordelle im Mischgebiet auch nach Einführung des Prostituiertenschutzgesetzes (ProstSchG) unzulässig (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29.10.2019, Az.: OVG 2 B 2.18). Die Entscheidung wurde mittlerweile durch das Bundesverwaltungsgericht aufgehoben und an das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zurück verwiesen, s. dazu das Update ganz unten. 

Streitgegenständlich war die Baugenehmigung für einen bordellartigen Betrieb in mehreren miteinander verbundenen Wohneinheiten mit einer Fläche von mehr als 400 qm in einem bauplanungsrechtlich festgesetzten Mischgebiet. 

Das zuständige Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf hatte die Baugenehmigung versagt, weshalb der Betreiber Klage vor dem Verwaltungsgericht Berlin einreichte. Das Verwaltungsgericht Berlin gab der Klage mit Urteil vom 24.05.2018 statt und verurteilte das beklagte Land, die beantragte Baugenehmigung zu erteilen.

Zwar liege keine sogenannte Wohnungsprostitution vor, die als prostitutive Einrichtung mit geringem Störpotential im Mischgebiet zulässig sei. Es handele sich aber gleichwohl um einen nicht störenden Gewerbebetrieb. Soweit nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und der nahezu einhelligen Rechtsprechung der Obergerichte Bordelle und bordellartige Betriebe als in einem Mischgebiet im Sinne des § 6 BauNVO bauplanungsrechtlich unzulässig angesehen würden, weil sie mit der im Mischgebiet ebenfalls zulässigen Wohnnutzung unverträglich seien, könne dem nicht gefolgt werden.

Denn die dieser Einschätzung zugrunde liegende sogenannte typisierende Betrachtungsweise sei für das Prostitutionsgewerbe nicht anzuwenden. Diese Branche sei angesichts der unklaren Begrifflichkeiten und der Vielschichtigkeit der Erscheinungsformen prostitutiver Einrichtungen (Bordelle, Laufhäuser, Massagesalons, Terminwohnungen, Modellwohnungen, bordellähnliche Einrichtungen, Escort-Service, Bars etc.) sowie des mit den jeweiligen Betriebsformen und Betriebsabläufen verbundenen Störpotenzials für die Beurteilung der planungsrechtlichen Zulässigkeit grundsätzlich ungeeignet. Es sei stattdessen in jedem Einzelfall eine Gesamtschau der bauplanungsrechtlich relevanten Auswirkungen einer prostitutiven Einrichtung vorzunehmen, bei der es in zumindest auch durch Wohnnutzung gekennzeichneten Baugebieten entscheidend darauf ankomme, ob der konkrete Betrieb mit der Wohnnutzung der näheren Umgebung vereinbar sei. Dies sei vorliegend der Fall.

Diese außerordentlich betreiberfreundliche Rechtsprechung des VG Berlin hatte vor dem OVG Berlin-Brandenburg im Berufungsverfahren keinen Bestand.

Für die Beurteilung, ob ein Gewerbebetrieb die Wohnnutzung wesentlich stört, ist nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts die sogenannte typisierende Betrachtungsweise vorzunehmen. Der gegenteiligen Sichtweise des Verwaltungsgerichts, nach der sich die Prostitution auf Grund der Unterschiedlichkeit der Betriebsformen einer typisierenden Betrachtungsweise entziehe, erteilte das Oberverwaltungsgericht eine klare Absage.

Bordellartige Betriebe und Bordelle seien mit der im Mischgebiet zulässigen Wohnnutzung unverträglich, da sie regelmäßig mit einer „milieubedingten Unruhe“ verbunden seien. Hierzu würden u. a. Begleiterscheinungen wie Belästigungen durch alkoholisierte oder unzufriedene Kunden, organisierte Kriminalität, Menschen- und Drogenhandel, ausbeutende Zuhälterei, Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, Verstöße gegen das Waffenrecht und Gewaltkriminalität bis hin zu Tötungsdelikten gehören.

Die Entscheidung ist insbesondere beachtenswert, als das OVG Berlin-Brandenburg hier auch dezidiert auf das Prostituiertenschutzgesetz eingeht und letztlich zum Ergebnis kommt, dass auch durch Einführung des Gesetzes die Annahme milieubedingter Unruhe nicht ausgeschlossen werden könne.

In der Tat erscheint es zumindest fraglich, ob das ProstSchG mit seinen Regelungen betreffend die persönliche Zuverlässigkeit des Betreibers und der sonstigen Personen in verantwortlichen Positionen in Bezug auf die „milieubedingten Begleiterscheinungen“ nicht zu einer Zeitenwende geführt haben könnte. Vor Einführung des Gesetzes konnte jedermann ohne Reglementierung ein Bordell oder einen bordellähnlichen Betrieb führen. Nunmehr werden durch das Prostituiertenschutzgesetz sehr strenge Voraussetzungen an den Betreiber einer Prostitutionsstätte und dessen Angestellten/Mitarbeiter gestellt.

Betreiber, Stellvertreter, Betriebsleiter und Sicherheitspersonal müssen seit Einführung des Prostituiertenschutzgesetzes über eine gewerberechtliche Zuverlässigkeit verfügen, §§ 14, 15 ProstSchG.

In der Regel gilt nach § 15 ProstSchG als unzuverlässig, wer innerhalb der letzten 5 Jahre wegen einschlägiger Vergehen/Verbrechten vorbestraft ist, wem innerhalb der letzten fünf Jahre vor Antragstellung die Erlaubnis zur Ausübung eines Prostitutionsgewerbes entzogen wurde oder wem die Ausübung eines Prostitutionsgewerbes versagt wurde und wer Mitglied einer verbotenen Vereinigung ist oder war.

Weiterhin wird keine Erlaubnis nach dem ProstSchG erteilt, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Art des Betriebes mit der Wahrnehmung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung unvereinbar ist oder der Ausbeutung von Prostituierten Vorschub leistet, dass der Betreiber gegen das Weisungsverbot in § 26 ProstSchG verstößt oder sich von sich von Prostituierten für die Vermietung von Räumen, für die Vermittlung einer Leistung oder für eine sonstige Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren zu lassen, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung oder zu deren Vermittlung stehen u. v. m.

Hieraus ergibt sich, dass Personen, die in einem Zusammenhang mit den oben erwähnten milieutypischen Begleiterscheinungen wie organisierter Kriminalität, Menschen- und Drogenhandel, ausbeutender Zuhälterei, Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, Verstößen gegen das Waffenrecht, Gewaltkriminalität usw. stehen könnten, weder als Betreiber, Stellvertreter, Betriebsleiter oder Sicherheitspersonal in einem Bordell oder bordellähnlichen Betrieb arbeiten könnten.

Hieraus könnte man den Schluss ziehen, dass von dem Betrieb eines Bordells oder bordellähnlichen Betriebs keine milieubedingten Störungen mehr ausgehen können, da ein hierfür verantwortlicher Personenkreis seit Einführung des Gesetzes nichts mehr mit Bordellen oder bordellähnlichen Betrieben zu tun haben darf.

Anders das OVG Berlin-Brandenburg, das in seiner Entscheidung dazu wie folgt ausführt:

„Gleichwohl rechtfertigt der Umstand des Inkrafttretens des Prostituiertenschutzgesetzes nicht die Einschätzung, prostitutive Einrichtungen würden aktuell oder zukünftig nicht mehr die mit ihnen bisher verbundenen Begleiterscheinungen mit sich bringen. Zum einen wirkt das Prostituiertenschutzgesetz etwa mit dem Erfordernis der Zuverlässigkeit des Betreibers und der Anmeldepflicht für Prostituierte solchen Begleiterscheinungen nur in Teilaspekten entgegen und erfasst Einwirkungen von außen nur unzureichend. Zum anderen rechtfertigt es nicht die Annahme, dass es in erlaubten Betrieben nicht mehr zu Missständen oder Zuwiderhandlungen kommen wird. Denn gewerberechtliche Genehmigungsvorbehalte mit dem Erfordernis der Zuverlässigkeit des Betreibers, Anforderungen an Beschäftigte und sonstigen betriebsbezogenen Vorgaben sind in vielen Branchen verbreitet, ohne dass hierdurch Missstände in diesen Branchen verlässlich ausgeschlossen würden. Der Umstand, dass die Aufnahme eines Gewerbes genehmigungsbedürftig ist, steht namentlich nachträglichem Fehlverhalten durch Betreiber und Beschäftigte oder auch Störungen durch Kunden nicht entgegen.

Außerdem ist bei lebensnaher Betrachtung gerade im Bereich des Prostitutionsgewerbes damit zu rechnen, dass trotz Einführung der Erlaubnispflicht zahlreiche Einrichtungen illegal, also ohne Erlaubnis, betrieben werden. Nach den Angaben der Klägerin hat nur ein Bruchteil der ihr bekannten prostitutiven Einrichtungen einen Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis nach dem Prostituiertenschutzgesetz gestellt. Hieraus folgert der Senat, dass offenbar in größerem Umfang geplant ist, prostitutive Einrichtungen ohne erforderliche Erlaubnis weiter zu betreiben. Denn davon, dass die fraglichen Betriebe alle aufgegeben werden, ist realistischerweise nicht auszugehen. Vielmehr dürften die wenigen Erlaubnisanträge darauf zurückzuführen sein, dass namentlich die Betreiber von prostitutiven Betrieben in Wohn- oder Mischgebieten die Antragstellung schon deshalb scheuen, weil sie für den Fall, dass ihr Betrieb den zuständigen Behörden bekannt wird, mit unerwünschten Maßnahmen der für sie zuständigen Baubehörde rechnen müssten. Davon abgesehen dürften zahlreiche Prostituierte, deren Tätigkeit im Prostitutionsgewerbe in ihrem Lebensumfeld bisher nicht bekannt ist, nicht bereit sein, ihre Anonymität im Rahmen der Vorgaben des Prostituiertenschutzgesetzes preiszugeben. Diese Personen werden, wenn sie ihre Tätigkeit nicht aufgeben, die Vorgaben des Gesetzes zu umgehen suchen. Sie und die Betriebe, in denen sie arbeiten, bleiben auf diese Weise weiterhin in unverändertem Umfang den bisherigen Gefahren ihres Gewerbes ausgesetzt.

Das Prostituiertenschutzgesetz stellt schließlich aus einem weiteren Grund keine baurechtlich relevante Zäsur dar: Das Prostitutionsgewerbe wird durch dieses Gesetz lediglich der Überwachung durch eine weitere Behörde unterstellt. Es ist jedoch nichts dafür ersichtlich, dass dadurch die mit dem Prostitutionsgewerbe verbundenen Begleiterscheinungen nachhaltig entfallen.“

Update vom 10.11.2021: 

Das Bundesverwaltungsgericht hob am 09.11.2021 dieses Berufungsurteil auf und verwies die Sache an das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zurück (BVerwG, Urteil vom 9. November 2021, 4 C 5.20). Der Volltext der Entscheidung mit der vollständigen Begründung liegt derzeit noch nicht vor. Der Pressemitteilung zur Entscheidung ist zu entnehmen, dass das Oberverwaltungsgericht das der Typisierung zugrundeliegende Störpotenzial fehlerhaft bestimmt habe, weil es den Begriff der "milieubedingten Unruhe" zu weit verstanden habe. Begleitumständen des Prostitutionsgewerbes, die keine städtebauliche Relevanz haben, könne mit Auflagen und ordnungsrechtlichen Mitteln begegnet werden. 

Die Unverträglichkeit von bordellartigen Betrieben und Wohnnutzung beruhe auf der Annahme, dass die Betriebe nach außen als solche in Erscheinung treten und dies gerade in den Abend- und Nachtstunden zu Störungen insbesondere durch den Zu- und Abgangsverkehr führt. Dieses typische Störpotenzial komme einem auf Diskretion angelegten, nach 20.00 Uhr geschlossenen so genannten Wohnungsbordell allerdings nicht zu, da es sich für den Betrachter nicht erkennbar von der sonst zulässigen Nutzung unterscheide und insbesondere keine Laufkundschaft anziehe. 

Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines solchen Wohnungsbordells sei daher mittels Einzelfallbetrachtung zu prüfen, was das Oberverwaltungsgericht unterlassen habe.

Die gängige Rechtsprechung, wonach Bordelle in Mischgebieten stets als störend und damit unzulässig angesehen worden waren, ist demnach als überholt anzusehen.


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