Schließung großflächiger Einzelhandelsgeschäfte rechtswidrig

  • 3 Minuten Lesezeit

Coronavirus und Betriebsuntersagung

VG Hamburg: Betriebsuntersagung von Läden mit mehr als 800 m² Verkaufsfläche ist rechtswidrig (Beschluss v. 21.04.2020, Az.: 3 E 1675/20)

In einem vor dem Verwaltungsgericht Hamburg anhängigen Verfahren, in dem die Inhaberin zweier großer Ladengeschäfte sich gegen die in der Hamburgischen SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung enthaltene Schließungsverfügung wendet, hat das Gericht die Regelung, mit der der Betrieb von 800 m² Verkaufsfläche überschreitenden Ladengeschäften untersagt wird, für rechtswidrig erklärt.

Dabei hat das Verwaltungsgericht zunächst festgestellt, dass es parallel zu der gerichtlichen Überprüfung der Rechtsverordnung in der Hauptsache (Feststellungsklage) zur Vermeidung von Rechtsschutzlücken statthaft ist, im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufigen Rechtsschutz zu erhalten, den das Gericht der Antragstellerin auch gewährt hat, in dem es festgestellt, dass die Antragstellerin vorläufig, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache berechtigt ist, ihre Einzelhandelsgeschäfte ohne die Verkaufsfläche entsprechend der Eindämmungsverordnung zu reduzieren, zu betreiben, wobei das Gericht darauf hingewiesen hat, dass die Antragstellerin der Betriebsuntersagung ihrer Einzelhandelsgeschäfte zwar vorläufig nicht Folge leisten muss, was die Antragstellerin aber nicht von der Verpflichtung entbindet, den in der Eindämmungsverordnung normierten technischen und organisatorischen Vorkehrungen zur Reduzierung des Infektionsrisikos nachzukommen.

Den Anspruch der Antragstellerin leitet das Gericht aus der Berufsausübungsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG ab, der einfachgesetzlich durch die Gewerbefreiheit des § 1 Abs. 1 GewO konkretisiert wird. Ein Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit ist nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG nur auf der Grundlage einer gesetzlichen Regelung erlaubt, die den Anforderungen der Verfassung an grundrechtsbeschränkende Gesetze genügt, insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht.

Diesen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sah das Gericht hier verletzt, da die Differenzierung zwischen Verkaufsstellen des Einzelhandels nach der Größe der Verkaufsfläche, also mit einer Verkaufsfläche bis 800 m², die öffnen dürfen, und größeren Verkaufsstellen, die lediglich in einem bis zu dieser Größe reduzierten Umfang öffnen dürfen, nicht geeignet ist, die mit der Eindämmungsverordnung verfolgten Zwecke umzusetzen, worin zugleich ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG liegt.

Das Gericht hat festgestellt, dass die Verordnungsgeberin (Hansestadt Hamburg) das ihr zustehende Verordnungsermessen mit Blick auf die von ihr getroffene Differenzierung zwischen Verkaufsstellen des Einzelhandels mit einer Verkaufsfläche von 800 m², die öffnen dürfen, und größeren Verkaufsstellen, die lediglich bis zu dieser Größe öffnen dürfen, überschritten hat, da die getroffene Unterscheidung nicht geeignet und nicht erforderlich ist, den mit der Eindämmungsverordnung verfolgten Zweck des Infektionsschutzes umzusetzen, was eine unverhältnismäßige Beschränkung der Berufsausübungsfreiheit darstellt.

Es sei nicht ersichtlich, dass die in der Eindämmungsverordnung getroffenen Infektionsschutzanordnungen in großflächigen Einzelhandelsgeschäften nicht umgesetzt werden können, sondern es läge vielmehr auf der Hand, dass die spezifischen Vorgaben auch in großflächigen Einzelhandelsgeschäften umsetzbar sind, in denen die Möglichkeit einer physischen Distanzierung zumindest ebenso gut wie in kleineren Einrichtungen oder sogar besser als dort einzuhalten sind.

Die Annahme der Verordnungsgeberin, dass von einem großflächigen Einzelhandelsbetrieb eine hohe Anziehungskraft mit der Folge ausgeht, dass die Straßen sowie die Verkehrsmittel des ÖPNV stark frequentiert werden und dadurch die Gefahr der Verbreitung von Infektionen steigt, sei beurteilungsfehlerhaft. Zum einen lägen für die angenommene hohe Anziehungskraft keine gesicherte Tatsachenbasis vor und zum anderen folgt die beschriebene Sogwirkung des großflächigen Einzelhandels nach Auffassung des Gerichts nicht aus der Verkaufsfläche, sondern aus der Attraktivität des Warenangebotes.

Die Größe der Verkaufsfläche eines Einzelhandelsgeschäfts sei auch deshalb kein Kriterium für seine Anziehungskraft, da für bestimmte Branchen (beispielsweise im Auto- und Möbelhandel sowie bei anderen Waren von erheblicher Größe) entsprechend großflächige Verkaufsstellen erforderlich sein, ohne dass von ihnen eine besondere Anziehungskraft ausgeht.

Auch sei die Differenzierung nach der Verkaufsfläche nicht erforderlich, um den mit der Eindämmungsverordnung verfolgten Zweck (Steuerung der Fußgängerdichte in der Innenstadt zur Reduzierung der Ansteckungsgefahr), da insoweit mildere Mittel vorhanden sind, da der in der Umsetzung der Eindämmungsverordnung allgemein einzuhaltende Mindestabstand von 1,5 m auch durch den Fußgängerverkehr regelnde Maßnahmen zu erreichen sei.

Die Größe der Verkaufsfläche stellt daher kein geeignetes Differenzierungskriterium dar, um die Ungleichbehandlung von klein- und großflächigen Einzelhandelsbetrieben zu rechtfertigen.

[Verwaltungsgericht Hamburg, Beschluss vom 21.04.2020, Aktenzeichen 3 E 1675/20]



Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Michael Stamm