Sterbehilfe in Deutschland – Bedeutet selbstverantwortlich Leben auch selbstverantwortlich Sterben?

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Viele Menschen haben Angst vor dem Sterben, die meisten davon – und da schließe ich mich nicht aus – haben sogar bereits Angst davor, sich mit dem Thema Sterben, also dem eigenen Tod, überhaupt zu beschäftigen. Einhellig ist jedoch zumeist der Wunsch, selbst zu entscheiden, wann es vorbei sein soll und nicht lange und unter Schmerzen dahinsiechen zu müssen. 

Aber wie ist das eigentlich in Deutschland nun tatsächlich geregelt? Rechtlich müssen wir dabei 4 Begriffe unterscheiden:

- Aktive Sterbehilfe

- Passive Sterbehilfe

- Indirekte Sterbehilfe

- Assistierter Suizid

Aktive Sterbehilfe

Von aktiver Sterbehilfe spricht man immer dann, wenn einem Sterbewilligen ein tödliches Mittel verabreicht wird. Töte ich einen Menschen gegen dessen Willen, so ist dies strafbar als Totschlag oder sogar Mord und wird in der Regel mit sehr langen Freiheitsstrafen bis hin zu lebenslänglicher Strafe geahndet. Tötet man hingegen einen Menschen, der das für sich wünscht, so spricht man dabei von „Tötung auf Verlangen“. Dies ist jedoch, trotz des Willens des Sterbenden, in Deutschland strafbar (§ 216 StGB).

Straffrei ist die aktive Sterbehilfe derzeit (Stand 2020) nur in den Niederlanden (seit 2001), in Belgien (seit 2002) und in Luxemburg (seit 2009). Deutschland dürfte von einem Wandel hin zur Straffreiheit der aktiven Sterbehilfe so weit entfernt sein wie selten. 

Passive Sterbehilfe

Von passiver Sterbehilfe spricht man, beim Unterlassen lebenserhaltender Maßnahmen. Die passive Sterbehilfe ist erlaubt, sofern sie in einer wirksamen Patientenverfügung ausdrücklich gewollt ist. Insbesondere ältere Patientenverfügungen entsprechen heute oft nicht mehr den rechtlichen Mindestanforderungen, weil sie meistens nicht konkret genug gefasst sind. Wer für sich also eine passive Sterbehilfe wünscht, sollte dafür sorgen, dass eine rechtssichere und wirksame Patientenverfügung vorliegt, die in Notfall auch schnell und unproblematisch gefunden wird. 

Das derzeit einzige Problem im Bereich der passiven Sterbehilfe ist das Dilemma, welches viele Ärzte regelmäßig in diesem Zusammenhang haben. Ärzte unterwerfen sich auch heute noch oft dem Ethikverständnis des sog. hippokratischen Eides, der u.a. besagt, dass Kranken nicht geschadet werden solle. Dieses Ethikverständnis ist aber genau entgegengesetzt zu der Grundannahme des selbstbestimmten Sterbens. Allerdings werden es Jahr für Jahr mehr Ärzte, die aus einem humanistischen Verständnis heraus die Sterbehilfe befürworten. Als Angehöriger eines Sterbewilligen mit entsprechender Patientenverfügung kann man im Zweifelsfall den Willen des Patienten unter Umständen nur über einen Arztwechsel zur Umsetzung bringen. 

Indirekte Sterbehilfe

Auch die indirekte Sterbehilfe ist in Deutschland erlaubt, solange sie in einer wirksamen Patientenverfügung ausdrücklich gewünscht wird. Indirekte Sterbehilfe bedeutet die Gabe von grundsätzlich lebensverkürzenden Medikamenten. Gemeint sind dabei insbesondere starke Schmerzmittel wie Morphium u.ä. oder stark bewusstseinsdämpfende Mittel. All diesen Mitteln ist gemein, dass sie grundsätzlich dem Körper als Nebenwirkung derartig schaden, dass sie geeignet sind, das Leben zu verkürzen. 

Diese Art der Sterbehilfe wird in der Regel von Ärzten befürwortet und von den allermeisten Patienten auch ausdrücklich so verlangt. Solange ein Patient bei klarem Verstand ist und nach solchen Mitteln verlangen kann, ist die Gabe völlig unproblematisch. Kann ein Patient sich nicht mehr selber äußern, sind Ärzte grundsätzlich gehalten, diese lebensverkürzenden Medikamente nur mit entsprechender Patientenverfügung zu verabreichen. 

Assistierter Suizid

Das wohl in Deutschland derzeit umstrittenste Thema ist der sogenannte assistierte Suizid. Schon immer war der (versuchte) Selbstmord straffrei möglich. Damit ist immer auch die Beihilfe zum Suizid straffrei möglich. Assistierter Suizid bedeutet im Gegensatz zur Tötung auf Verlangen, dass der sterbewillige Patient das tödliche Mittel selber einnehmen muss, dies also nicht von einem Dritten verabreicht wird. Diese Regelungen kennen wir insbesondere aus unserem Nachbarland, der Schweiz, in der schon seit jeher Sterbehilfevereine tätig sind, die sterbewilligen Menschen professionelle Hilfe leisten. Nicht ohne Grund begeben sich viele Menschen zum Sterben noch immer in die Schweiz, um das dortige Angebot in Anspruch zu nehmen. 

Unter der Leitung des früheren Hamburger Justizsenators, Dr. Roger Kusch, wurde im Jahre 2009 in Schleswig-Holstein der Verein „Sterbehilfe Deutschland e.V.“ gegründet, der eine professionelle Sterbebegleitung und auch Sterbehilfe anbot. Leider hat der Gesetzgeber Ende 2015 den Leistungen des Vereins einen Riegel vorgeschoben durch die Schaffung des § 217 StGB, der eine kommerzielle Sterbehilfe ausdrücklich unter Strafe stellt. Straffrei sollten danach lediglich die nichtkommerzielle Hilfe von Verwandten und nahestehenden Menschen bleiben. Damit musste der Verein von jetzt auf gleich sein Angebot einstellen und konnte seinen Mitgliedern die versprochenen Leistungen nicht mehr gewährleisten. 

Gegen diesen § 217 StGB legten Betroffene sowie Palliativärzte 2016 Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein, über die erst im Jahre 2020 entschieden wurde. Begründet wurde die Verfassungsbeschwerde mit einer Verletzung des Artikel 1 des Grundgesetzes („Die Würde des Menschen ist unantastbar“). Laut der Betroffenen gewährleistet Artikel 1 GG nicht nur ein selbstbestimmtes Leben, sondern auch ein selbstbestimmtes Sterben.  

Um in der Zwischenzeit den sterbewilligen Menschen dennoch eine Möglichkeit des selbstbestimmten Sterbens zu geben, hat Kusch mittlerweile eine Lösung gefunden, Deutschen über ein Konstrukt, welches verschiedene Gesetzeslücken nutzt, über ihren Sitz in der Schweiz Sterbehilfe zu leisten. Damit hat der deutsche Gesetzgeber im Grunde ein deutsches Problem in die Schweiz verlagert, aber nicht nachhaltig gelöst. Mittlerweile gibt es 4 Organisationen, die über eben dieses Konstrukt die Sterbehilfe auch in Deutschland möglich machen.

Am 26. Februar 2020 hat das Bundesverfassungsrecht dann endlich zugunsten der Humanität entschieden, in dem es festgestellt hat, dass § 217 StGB in seiner jetzigen Fassung verfassungswidrig ist. Damit ist der assistierte Suizid nun auch in Deutschland (wieder) möglich. 

Wer glaubt, damit seien nun alle Hindernisse aus dem Weg geräumt, irrt jedoch. In der Regel wird in der Schweiz die Sterbehilfe praktiziert mit Hilfe des Mittels Natrium-Pentobarbital (NaP). In Deutschland war die Verschreibung dieses Medikaments für sterbewillige untersagt. Im Jahre 2017 urteilte bereits das Bundesverwaltungsgericht, dass es in Extremfällen Ausnahmen geben müsse für schwer und unheilbar Kranke. Die Regierung und insbesondere Gesundheitsminister Spahn weigern sich jedoch, diesem Urteil nachzukommen. Bis zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts waren beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte 102 Anträge abgelehnt worden, über weitere 31 Anträge ist bis heute noch nicht entschieden. 24 der Antragsteller sind mittlerweile auf andere Weise verstorben. Beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte liegt eine Weisung des Gesundheitsministeriums, schon seitens des früheren Gesundheitsministers Hermann Gröhe ebenso wie heute von Jens Spahn vor, die besagt, dass derartigen Anträgen grundsätzlich NICHT stattgegeben werden darf. Damit stellt sich der Gesundheitsminister gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ebenso wie gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, indem es einfach die Urteile NICHT umsetzt. Das Urteil fordert die Bundesregierung deutlich dazu auf, eine klare Regelung in Deutschland zu schaffen, die Regierung und allen voran Jens Spahn, verweigern jedoch ihr Tätigwerden in dieser Sache. 

Unter dem Titel „Sterbehilfe: Spahn boykottiert Recht“ strahlte die ARD am 15.10.2020 um 21.45 Uhr in der Sendung Panorama einen ausführlichen Bericht zu diesem Thema aus, der derzeit noch online abrufbar ist. 

(https://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2020/Sterbehilfe-Spahn-boykottiert-Recht,sterbehilfe360.html)

In Deutschland engagiert sich bereits seit 1980 die Deutsche Gesellschaft für humanes Sterben (DGHS) e.V. mit Sitz in Berlin (www.dghs.de) für die Sterbehilfe in Deutschland. Wer sich also aktiv dafür einsetzen möchte, dass Sterbehilfe endlich auch in Deutschland klar geregelt wird, ist dort sicherlich gut aufgehoben. 

Wer selbst für sich Vorsorge treffen möchte, dem bleibt derzeit nur die Möglichkeit, zum einen eine gute und rechtssichere Patientenverfügung zu erstellen (Hilfe dazu erhalten Sie unter: www.van-Luijn.de/erbrecht/das-vorsorgepaket) und zum anderen, sich über Anbieter in der Schweiz beraten und helfen zu lassen. 

Foto(s): Melanie van Luijn

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