Betriebsräte wollen keine Freistellung: Geht das?

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Betriebsratsmitglieder können sich von ihrer Arbeitsverpflichtung freistellen lassen. Wie ein Arbeitgeber bei Nürnberg feststellen musste, wünscht sich das aber nicht jeder: In seinem Betrieb fand sich kein einziges Betriebsratsmitglied, das eine vollständige Freistellung wollte.

Am Ende hatte das Landesarbeitsgericht (LAG) Nürnberg darüber zu entscheiden, ob Betriebsratsmitglieder verpflichtet sind, sich nach § 38 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) vollständig von ihrer Arbeitsverpflichtung freistellen zu lassen (LAG Nürnberg, Beschluss v. 17.12.2020, Az.: 4 TaBV 11/20).

Was heißt vollständige Freistellung?

Ab einer bestimmten Betriebsgröße gibt es für Betriebsratsmitglieder vollständige Freistellungen von der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit nach § 38 BetrVG. Diese freigestellten Betriebsratsmitglieder erledigen dann ausschließlich Betriebsratstätigkeiten und sind während ihrer Amtszeit bei gleichbleibendem Gehalt von ihrer beruflichen Tätigkeit befreit. 

Allerdings müssen sie während ihrer Arbeitszeit im Betrieb sein und das kann dann für ein Betriebsratsmitglied zum Problem werden, wenn der gewöhnliche Arbeitsort und der Betriebssitz sehr weit voneinander entfernt sind. Genau darum ging es in dem LAG-Fall.

Freistellung nicht gewünscht — Pflichtverstoß durch Betriebsrat?

Die Beteiligten stritten darüber, dass der Betriebsrat dem Arbeitgeber entgegen § 38 BetrVG keine Mitteilung über freizustellende Betriebsratsmitglieder machte. Der Arbeitgeber, der überwiegend Zeitungszusteller beschäftigt, verlangte vor Gericht deswegen die Auflösung des Betriebsrats nach § 23 Abs. 1 S. 1 BetrVG. Er empfand die ausbleibende Mitteilung über die freizustellenden Mitglieder als schweren Pflichtenverstoß.

Der Betriebsrat trug allerdings vor, dass es nur deshalb keine Mitteilung über freizustellende Betriebsratsmitglieder gebe, da ein Freistellungsbeschluss nach § 38 BetrVG nicht möglich sei. Die Betriebsratsmitglieder seien alle in Teilzeit als Zeitungszusteller tätig. Die Arbeitszeit ist nachts oder früh morgens und der Arbeitsort meist weit entfernt vom Betriebsstandort. Eine Freistellung führe zu einer erheblichen Schlechterstellung: bei einer täglichen Arbeitszeit von 1,7 Std. ist eine erforderliche Anreise zur weit entfernten Betriebsstätte unrentabel. Daher sei kein Betriebsratsmitglied zu einer Freistellung bereit. Und ohne Freiwillige, die sich freistellen lassen wollen würden, könne keine Auswahl durch Beschluss erfolgen.

Der Arbeitgeber hielt dem entgegen, dass der Betriebsrat nicht auf die Auswahl von Freizustellenden nach § 38 BetrVG verzichten kann. Die fehlende vollständige Freistellung führe zu erheblichen Mehrarbeitsstunden für die Betriebsratsmitglieder. Der Überstundenabbau durch Freizeitausgleich störe den Betriebsablauf erheblich und im Fall der Auszahlung würden die Betriebsratsmitglieder begünstigt. Sein Antrag auf Auflösung des Betriebsrats sei deswegen begründet.

Ablehnung der Freistellung ist kein Pflichtenverstoß

Das Gericht lehnte den Antrag auf Auflösung des Betriebsrats ab. Eine Auflösung nach § 23 Abs. 1 S. 1 BetrVG sei nur möglich, wenn das Betriebsratsorgan einen groben Verstoß gegen seine gesetzlichen Pflichten begeht. Ein solcher Verstoß lag hier nicht vor.

Die Freistellung einzelner Betriebsratsmitglieder nach § 38 BetrVG setzt deren Zustimmung voraus. Da es hier keine Freiwilligen gab, bestand für den Betriebsrat nach Ansicht des Gerichts keine Möglichkeit, Betriebsratsmitglieder für eine Freistellung zu benennen.

Außerdem sei die Regelung in § 38 BetrVG ein Anspruch des Betriebsrats: Er soll eine ordnungsgemäße Durchführung und sachgerechte Wahrnehmung seiner Aufgaben sicherstellen und nicht zu dessen Nachteil sein. Eine Verpflichtung der Betriebsratsmitglieder, sich freistellen zu lassen, würde die Vorschrift allerdings nicht enthalten. Nicht zuletzt diene § 38 BetrVG nicht den Interessen des Arbeitgebers.

Das gelte erst recht bei der vorliegenden betrieblichen Struktur: geringes Arbeitszeitvolumen und große Distanz zwischen Einsatzort und Betriebssitz. Denn würde der Betriebsrat aufgelöst, weil sich keine Freiwilligen für die Freistellung fänden, müsste man bei einer Neuwahl sicherstellen, dass nur Arbeitnehmer sich wählen lassen, auf die die Besonderheiten hinsichtlich Arbeitszeit und Einsatzort nicht zutreffen. Das würde in diesem Unternehmen faktisch unmöglich sein und damit würde eine Auflösung des Betriebsrates wegen fehlender Freistellung der Mitglieder vollkommen dem Sinn und Zweck der Freistellungsvorschrift zuwiderlaufen.  

Fazit

Diese praxisnahe Entscheidung zeigt, dass nicht jede Vorschrift zugunsten der Betriebsräte im Einzelfall vorteilhaft ist. Es ist daher besonders wichtig, die Vorschriften des BetrVG immer im Hinblick auf ihren Zweck auszulegen und anzuwenden – auch wenn es um die Freistellung von Betriebsratsmitgliedern geht.

Denn bei der Freistellung nach § 38 BetrVG ist Zweck der Vorschrift, ein Funktionieren des Betriebsrates dadurch zu garantieren, dass sich Mitglieder von ihrer eigentlichen Arbeitspflicht freistellen lassen können. Eine Pflicht für Betriebsräte, sich gegen ihren Willen vollständig freistellen zu lassen, besteht nicht – vor allem nicht, wenn es zum Nachteil der Betroffenen wäre.   

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