„Der Gang nach Karlsruhe“ – Leitfaden Verfassungsbeschwerde (Teil 1)

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Nach einer abweisenden Gerichtsentscheidung in letzter Instanz oder nach dem Erlass eines Gesetzes, das Beeinträchtigungen der Grundrechte befürchten lässt, kommt bei vielen Bürgern schnell der Gedanke auf, eine Verfassungsbeschwerde einzulegen – „nach Karlsruhe zu gehen“, wie oft landläufig gesagt wird. Unabhängig von der tatsächlichen Entfernung zur badischen Residenzstadt kann der Gang nach Karlsruhe zwar juristisch naheliegend (weil vielleicht letztes verbleibendes Rechtsmittel), doch das eigentliche Ziel, nämlich die stattgebende Entscheidung des höchsten Bundesgerichtes, eher fernliegend sein.

Die Erfolgsquote ist statistisch betrachtet recht gering, der Aufwand für eine zumindest erfolgversprechende Beschwerde meist groß. Um sich keine falschen Vorstellungen zu machen und die Erfolgsaussichten richtig einschätzen zu können, empfiehlt sich zunächst die juristische Beratung durch einen Fachmann oder eine Fachfrau, um die Erfolgsaussichten zu erhöhen, die Vertretung durch ebensolche.

Statistik

Die vom Bundesverfassungsgericht veröffentlichten Statistiken sind ernüchternd. Von den jährlich etwa 6.000 eingelegten Verfassungsbeschwerden (seit etwa 10 Jahren liegt dieser Wert relativ konstant zwischen 5.800 und 6.300) sind im Mittel etwa 2 Prozent erfolgreich (im Jahr 2015 bei 5.884 Verfahren nur 111 und damit 1,89 %). Das Gros aller eingelegten Beschwerden wird bereits nicht zur Entscheidung angenommen (so erfolgten z.B. 2015 bei über 5.700 Beschwerden Nichtannahmebeschlüsse, wobei die Eingänge nicht alle aus 2015 stammten). Die Stattgaben erfolgten 2015 in 98 Fällen durch die Kammern und in 13 Fällen durch die Senate. Während sich 2015 mehr als 5.000 Beschwerden gegen Gerichtsentscheidungen richteten, waren jeweils nur lediglich ca. 120 gegen Rechtsnormen (Gesetze) oder gegen Hoheitsakte gerichtet.

Kurzum: Von 100 tatsächlich eingereichten Beschwerdeschriftsätzen erreichen kaum zwei das eigentliche Ziel; nur sehr selten werden also letztinstanzliche Urteile oder Gesetze vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig eingestuft, so sehr dies auch dem Rechtsempfinden der Beschwerdeführer entsprechen mag. Um diese Statistik besser verstehen zu können, kann es helfen sich die Voraussetzungen einmal zu veranschaulichen.

Beschwerdegegenstand

Nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a Grundgesetz (GG) kann jeder, der sich in seinen Grundrechten durch staatliches Handeln verletzt sieht, eine Verfassungsbeschwerde einreichen („Individualbeschwerde“). Beschwerdegegenstand ist ein Akt der öffentlichen Gewalt, d.h. eine Gerichtsentscheidung, ein Gesetz oder hoheitliches Handeln. Es wird geltend gemacht, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Art. 20 Abs. 4, 33, 38, 101, 103 und 104 GG enthaltenen Rechte verletzt zu sein. Auch juristische Personen, also Unternehmen, können eine Verfassungsbeschwerde erheben, sofern die Grundrechte ihrem Wesen nach auf juristische Personen Anwendung finden können (Art. 19 Abs. 3 GG). Das kann z.B. bei der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) oder dem Eigentum (Art. 14 GG) der Fall sein. Kommunen können eine Verfassungsbeschwerde einreichen, wenn sie eine Verletzung ihres kommunalen Selbstverwaltungsrechts geltend machen wollen.

Kosten

Das Verfahren des Bundesverfassungsgerichts ist nach § 34 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) grundsätzlich kostenfrei. Nach § 34 Abs. 2 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht jedoch dem Beschwerdeführer eine (Missbrauchs-) Gebühr bis zu 2.600 Euro auferlegen. Diese steht im Ermessen des Gerichts und kommt in Frage, wenn die Einlegung der Verfassungsbeschwerde einen Missbrauch darstellt. Dies war 2015 bei 26 Beschwerden der Fall, wobei der Höchstbetrag für die Missbrauchsgebühr bei 2.000 Euro lag.

Allerdings ist der Aufwand für Aufarbeitung des Sachverhalts und die Erstellung eines substantiierten Beschwerdeschriftsatzes meist groß und dementsprechend regelmäßig auch die Kosten für die professionelle Vertretung.

Vertretung im Verfahren

Das Bundesverfassungsgericht entscheidet, sofern denn die Beschwerde zur Entscheidung angenommen wird, auf Grund mündlicher Verhandlung (durch Urteil, ansonsten durch Beschluss). Etwas anderes gilt nur, wenn alle Beteiligten ausdrücklich auf sie verzichten. Die Beteiligten können sich nach § 22 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG in jeder Lage des Verfahrens durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines EU- oder EWR-Mitgliedstaates oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Wenngleich für die Einlegung einer Verfassungsbeschwerde zunächst kein Anwaltszwang besteht, empfiehlt sich die Beauftragung eines Rechtsanwalts doch sehr. Spätestens in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht müssen sich Beschwerdeführer in dieser Weise vertreten lassen. Daher empfiehlt sich eine Beauftragung auch von Anfang an. Viele Beschwerden werden aus formalen Gründen nicht zur Entscheidung angenommen (vielfach im Beschlusswege und ohne Begründung).

Regelmäßig ist der Aufwand jedoch hoch und entsprechend sind dies auch die Kosten für einen Rechtsanwalt. Gleichwohl dürften sich die Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde, die jedenfalls grundsätzlich nicht aussichtslos ist, doch erheblich erhöhen. Einer aussichtslosen Verfassungsbeschwerde verhilft auch ein guter Rechtsanwalt vor dem Bundesverfassungsgericht nicht zum Erfolg. Umso bedeutender erscheint es daher in einer ersten „Vorprüfung“ die grundsätzlichen Erfolgsaussichten zu überprüfen. In den vergangenen Jahren sind fast 60 Prozent der Verfahren ohne Bevollmächtigten geführt worden. Davon ist grundsätzlich abzuraten. Auch die Erfolgsaussichten einer aussichtsreichen Klage sinken, wenn der Beschwerdeschriftsatz nicht den Anforderungen entspricht oder der Vortrag nicht ausreichend substantiiert ist.

Fortsetzung folgt ...

Zu den weiteren Voraussetzungen lesen Sie unbedingt hier weiter:

„Der Gang nach Karlsruhe“ – Leitfaden Verfassungsbeschwerde (Teil 2)


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