Neue Rechtsentwicklungen im Atomrecht

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In den letzten Wochen hat es verschiedene interessante Entwicklungen gegeben, die im weitesten Sinne das Atomrecht bzw. vielmehr die Abwicklung und Nachsorge der Atomenergienutzung in Deutschland betreffen.

Entwurf eines Rückbau- und Entsorgungskostennachhaftungsgesetzes: „Eltern haften für ihre Kinder“

Im Oktober hat das Bundeskabinett den bereits vom Bundeswirtschafts- und -energieministerium unter dem Titel „Eltern haften für ihre Kinder“ angekündigten Entwurf für ein Gesetz zur Nachhaftung für Rückbau- und Entsorgungskosten im Kernenergiebereich (Rückbau- und Entsorgungskostennachhaftungsgesetz) beschlossen

Das Rückbau- und Entsorgungskostennachsorgegesetz, dessen Entwurf nun vom Kabinett verabschiedet und ins Gesetzgebungsverfahren geschickt wurde, sieht vor, dass sich die Atomkonzerne nicht durch eine „Ausgliederung“ ihrer Atomenergiesparte in andere Gesellschaft von der Haftung für die Kosten des Atomaussiegs und der Endlagerung der radioaktiven Abfälle befreien können. Ebendies war von den Betreibergesellschaften der Kernkraftwerke offen angekündigt und vorbereitet worden und war von verschiedenen Seiten als energiewirtschaftliche Version einer „Bad Bank-“Gründung, mit der letztlich die Folgekosten der Atomenergienutzung dem Steuerzahler aufgebürdet werden sollten, massiv kritisiert worden.

Die entscheidende Regelung findet sich in § 1 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzentwurfs:

„Für sämtliche gegenwärtigen und zukünftigen öffentlich-rechtlichen Zahlungsverpflichtungen eines Betreibers von im Inland belegenen Anlagen zur Spaltung von Kernbrennstoffen zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität (Betreiber), die für die Stilllegung und den Rückbau dieser Anlagen nach § 7 Abs. 3 AtomG sowie für die geordnete Beseitigung der radioaktiven Abfälle nach § 9a Abs. 1 Satz 1 AtomG entstehen, insbesondere die Verbindlichkeiten aus den §§ 21a und 21b AtomG, der Endlagervorausleistungsverordnung sowie aus Kapitel 4 des Standortauswahlgesetzes, haften herrschende Unternehmen der jeweils anspruchsberechtigten Körperschaft neben dem Betreiber, wenn dieser diese Zahlungsverpflichtungen bei Fälligkeit nicht erfüllt.“

Herrschende Unternehmen im Sinne des Gesetzes sollen nach § 2 des Gesetzentwurfs Unternehmen sein, denen unmittelbar oder mittelbar mindestens die Hälfte der Anteile an einem Betreiber gehört, oder denen mindestens die Hälfte der Stimmrechte der Gesellschafter eines Betreibers zusteht oder die unabhängig davon in sonstigen Fällen allein oder gemeinsam einen beherrschenden Einfluss auf einen Betreiber ausüben können. Es wird dabei für die Berechnung ans Aktienrecht angeknüpft. Auch ein persönlich haftender Gesellschafter eines Betreibers oder eines diesen beherrschenden Unternehmens in der Rechtsform einer Personenhandelsgesellschaft gilt als herrschendes Unternehmen, wenn er nicht nachweist, dass er keine der Voraussetzungen dafür erfüllt. Schließlich soll nach § 3 des Gesetzentwurfs die Haftung auch nicht dadurch enden, dass die Eigenschaft als herrschendes Unternehmen endet. Sie endet vielmehr erst dann, wenn die ablieferungspflichtigen Abfälle des Betreibers vollständig in ein Endlager eingebracht worden sind.

Die Betreiberunternehmen wehren sich gegen den Gesetzentwurf zur Nachhaftung wehrt man sich bisweilen mit der Argumentation, dass er verfassungswidrig sei, da er die Grundrechte der Betreiber sowie den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletze, da eine solche Regelung nicht erforderlich sei. Zumindest letztes darf wohl zumindest aktuell noch in Zweifel gezogen werden.

Neue Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs

Gleichzeitig mit dem Rückbau- und Entsorgungskostennachsorgegesetz hat das Bundeskabinett die Einrichtung einer „Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs“ (KFK) beschlossen, der der ehemalige Erste Bürgermeister von Hamburg Ole von Beust (CDU), der ehemalige brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) sowie der ehemalige Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) gemeinsam vorsitzen sollen. Weitere Mitglieder des insgesamt 19-köpfigen Gremiums entstammen unterschiedlichen Kreisen und Lagern.

Während die Industrie, Gewerkschaften, Fachleute aus der Wissenschaft, Lobbyisten und Kirche Mitglieder stellen, sind maßgebliche Umweltverbände nicht vertreten; lediglich der WWF stellt eine Vertreterin. Es wurde zudem ein Staatssekretärsausschuss Kernenergie eingesetzt sowie die fachliche Unterstützung der Kommission durch einen ressortübergreifenden Arbeitsstab beim BMWi beschlossen. Ob eine Akzeptanz der Kommission und ihrer Arbeit in der Bevölkerung und insbesondere in atomkraftkritischen Kreisen erreicht wird, bleibt wohl abzuwarten.

Zumindest jedoch ist mit Trittin auch der ehemalige Minister, der u.a. den ursprünglichen Atomausstieg und den Stopp für Gorleben maßgeblich bewirkt hat, als Ko-Vorsitzender eingesetzt worden. Die KFK ist nicht zu verwechseln mit der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Stoffe, die nach § 3 Standortauswahlgesetz (StandAG) zur Vorbereitung des Standortauswahlverfahrens für eine Endlagerung radioaktiver Abfälle eingesetzt wurde, wenngleich einige der 33 Mitglieder zugleich auch Mitglieder in der KFK sind. Die KFK hat die Aufgabe Empfehlungen im Hinblick auf die Finanzierung des Atomausstiegs unter Überprüfung der bisherigen Rückstellungen der Kernanlagenbetreiber auf Basis der §§ 7 Abs. 3 und 9a Abs. 1 Satz 1 AtomG. Ein hierzu in Auftrag gegebenes Gutachten (bezeichnet als „Stresstest“) hatte kürzlich ergeben, dass die Rückstellungen der Konzerne sich auf ca. 38 Milliarden Euro belaufen sollen.

Dem stehen nach Einschätzung der Gutachter zu aktuellen Preisen Rückbau- und Entsorgungsverpflichtungen in Höhe von 47,5 Milliarden Euro gegenüber. Fraglich ist nun zum einen, ob die Summe ausreicht, was aus Sicht der Gutachter trotz der Deckungsdifferenz bejaht wird, zum anderen aber, wie die nötigen Gelder zukünftig verwaltet werden sollen. Erneut werden die bereits früher geäußerten Forderungen nach der Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen Fonds und Überführung der Rückstellungen laut. In der Schweiz, in Finnland und in Schweden gibt es Fondsmodelle zur langfristigen Sicherung der atomaren Nachsorge. Die Konzerne wehren sich jedoch dagegen. Sie argumentieren zudem mit den anhängigen Klagen auf Schadensersatz wegen des rechtswidrigen Atommoratoriums von 2011 und plädieren für eine bundeseigene Stiftung, in die die Rückstellungen aber auch die Kraftwerke mit all ihren Risiken eingebracht werden könnten.

Öffentlichkeitsbeteiligung im Standortauswahlverfahren nach der EuGH-Entscheidung vom 15.10.2015

Die Kritik an der Öffentlichkeitsbeteiligung im Rahmen des Standortauswahlverfahrens nach dem Standortauswahlgesetz (StandAG), die sich auf die Ergebnisse zweier von der Endlagersuche-Kommission in Auftrag gegebenen Rechtsgutachten aus dem Sommer 2015 stützt, dürfte zudem nach der nun ergangenen Entscheidung des EuGH (Urt. v. 15.10.2015 – Rs. C-137/14) zu den Unzulänglichkeiten der Berücksichtigung von Umweltrecht und Öffentlichkeitsbeteiligung bei Zulassungsverfahren mit Umweltverträglichkeitsprüfung sowie des deutschen Verbandsklagerechts ebenfalls weiter zunehmen. Der EuGH hat am 15. Oktober 2015 auf ein von der Kommission eingeleitetes Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland entschieden, dass die Bundesrepublik gegen die Vorschriften über den Zugang der betroffenen Öffentlichkeit zu Gerichten der Richtlinie 2011/92 über die Umweltverträglichkeitsprüfung und der Richtlinie 2010/75 über Industrieemissionen verstoßen hat.

Die Rechtsgutachten zum Standortauswahlverfahren kamen unabhängig voneinander auch diesbezüglich zu dem Ergebnis, dass den Vorgaben der UVP-Richtlinie sowie auch der Aarhus-Konvention im Standortauswahlgesetz nicht genügt werde. Die Endlagersuche-Kommission hat daraufhin beschlossen, einen Vorschlag für die Beseitigung der festgestellten Mängel zu erarbeiten.



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